Derzeit befinden sich 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben sind vielfältig. Zurückzuführen sind sie jedoch alle auf reaktionäre Ideologien, Herrschaftsverhältnisse und den Kapitalismus.
Menschen fliehen momentan überall auf der Welt – aufgrund von gewalttätigen Konflikten, Menschenrechtsverletzungen oder weil sie religiöser, ethnischer oder politischer Verfolgung ausgeliefert sind, weil ihre Existenzgrundlage aufgrund von Naturkatastrophen bedroht ist oder bereits zerstört wurde. Die „Hauptlast“ – wie es von „besorgten Bürger*innen“ und Medien gerne bezeichnet wird – trägt nicht etwa Deutschland oder die EU. Circa 90% der Flüchtenden weltweit bleiben in ihrer Region und werden von ihren Nachbarländern aufgenommen. Die EU nimmt lediglich den Schutz ihrer Außengrenzen auf sich.
Derzeit erreichen uns vor allem Bilder aus Kriegs- und Krisenregionen in Vorderasien: humanitäre Missstände, zerstörter Wohnraum, Armut, Hunger, Krankheiten – dies alles bedroht das Leben der Menschen vor Ort.
In Syrien herrscht seit 5 Jahren Bürgerkrieg, darüber hinaus werden die Einwohner*innen vom sogenannten „Islamischen Staat“ terrorisiert. Dieser breitet sich in der gesamten Region aus: auch aus dem Irak müssen Menschen vor dem IS flüchten. Nicht anders ist es in Afghanistan, wo die Taliban wieder vermehrt Terror verbreiten.
Wenn auch von den Medien nicht mehr so stark in Erinnerung gehalten, müssen wir auch afrikanische Länder, wie Somalia und den Süd-Sudan an dieser Stelle benennen. Seit Jahrzehnten zerstören dort vielschichtige Konflikte zwischen unterschiedlichen ethnischen und machtpolitischen Gruppen die Lebensgrundlage der Bevölkerung und legen beispielsweise das Gesundheitssystem lahm.
Warum sollten sich die Menschen aus der EU und Deutschland mit diesen Konflikten beschäftigen?
Weil ebendiese und andere Industrienationen beispielsweise durch Waffenhandel und den Aufbau von Rüstungsfabriken in solchen Krisenregionen eine klare Mitverantwortung tragen. Durch den Export auf Kosten derer, die die Konflikte hautnah ertragen müssen, können Unternehmen wie Heckler & Koch oder Thyssenkrupp ihre Aktien weiter nach oben treiben und ihren Gewinn in kapitalistischer Manier maximieren.
Ein anderer Grund, aus dem Menschen in die Flucht gezwungen werden, ist die Tatsache, dass sie in ihren Herkunftsländern einer massiven Diskriminierung ausgesetzt sind – aufgrund ihrer Religion, politischen Gesinnung, ethnischen Zugehörigkeit oder sexuellen Orientierung.
Wie zwingt Diskriminierung Menschen in die Flucht?
In zehn Ländern der Welt gibt es für Homosexualität immer noch die Todesstrafe oder jahrelange Haftstrafen.
Direkt vor unserer Haustür werden Menschen aus Serbien und Mazedonien in die Flucht gezwungen, weil sie Roma sind. Sie befinden sich in prekären Lebenssituationen und sind von Gewalt und/oder systematischer Ausgrenzung betroffen. Für diese Menschen gibt es keine finanzielle Sicherheit und somit keine Lebensgrundlage. Die Ursache dafür ist der unzureichende Zugang zu Bildungs- und Ausbildungsplätzen sowie zum Arbeitsmarkt. Auch in Deutschland können aus Serbien oder Mazedonien geflüchtete Menschen diese Sicherheit nicht finden. Um es deutlich zu machen: die Aufnahmequoten liegen bei nicht einmal 1%. Begründet wird dies mit dem „todsicheren“ Argument der sicheren Herkunftsländer.
Im afrikanischen Land Eritrea wurden etwa 360.000 Menschen zur Flucht gezwungen. Seit der Unabhängigkeit von Äthiopien im Jahr 1993 werden die Zustände vor Ort durch eine der härtesten Diktaturen der Welt und der damit einhergehende Militarisierung geprägt. Für alle Menschen gilt ab dem 18. Lebensjahr erst der Grundwehrdienst und im Anschluss der sogenannte Nationaldienst – zu unmenschlichen Bedingungen. So werden auch die Landwirtschaft, Krankenversorgung und Organisation der Infrastruktur durch die Wehrpflichtigen aufrechterhalten. Man kann hier von Zwangsarbeit sprechen, da die Bevölkerung für diese Dienste lediglich eine marginale finanzielle Entschädigung erhält und eine freie Wahl des Arbeitsplatzes anders aussieht. Jeglicher Zugang zu Bildungseinrichtungen wird durch das Militär bestimmt und ist somit massiv eingeschränkt. Kritiker*innen werden verfolgt, gefoltert und getötet. All die, die vor der militarisierten Gewalt fliehen wollen, teilen das gleiche Schicksal.
Diese drastischen Diskriminierungsmechanismen können in einer kapitalistisch geprägten Welt in nahezu allen Lebensbereichen Fuß fassen. Solange Menschen aufgrund von Religion, Sexualität, ethnischer Zugehörigkeit und politischer Gesinnung verfolgt und bestraft werden und der Zugang zu Gesundheitswesen und Bildungseinrichtungen an Bedingungen geknüpft ist, kann keine Gleichheit hergestellt werden. Da die Nutznießer*innen des kapitalistischen Systems allerdings auch nicht an Gleichheit interessiert sind, kann der Weg nur anders bestritten werden.
Ausbeutung, das täglich Brot des Kapitalismus
Wenn weder die Existenz der eigenen Person noch die der Familie gesichert werden kann, wird oft abwertend von „Wirtschaftsflüchtlingen“ geredet. Dass dieser Begriff die unmittelbare Zwangssituation völlig außer Acht lässt und die EU durch ihre neokoloniale Politik erhebliche Mitschuld an dem Elend vieler Menschen trägt, wird dabei gerne ignoriert.
Während der Ausarbeitung von Freihandelsabkommen erpresst die EU von ihr ökonomisch abhängige Länder, beispielsweise des afrikanischen Kontinents. Mit Hilfe von Strafzöllen und Drohungen oder dem Entzug von Handelserleichterungen soll so ein Unterschreiben der einseitig positiven Abkommen erzwungen werden.
Als beispielsweise Kenia sich weigerte solch ein Abkommen zu unterzeichnen, wurden jene Strafzölle auferlegt und infolgedessen der Exportsektor vor Ort fast vollständig zerstört. Die Konsequenz war die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens und der Markt wurde für eine Überschwemmung europäischer Produkte geöffnet. Kenia ist hier nur ein Beispiel für den Zusammenbruch der lokalen Industrie, weil örtliche Produkte nicht konkurrenzfähig gegenüber den hochsubventionierten EU-Produkten sind. Produzent*innen und Händler*innen können mit den Billigpreisen nicht mithalten und in der Folge droht den Menschen vor Ort ein Einkommensverlust. Der Zugriff auf überlebenswichtige Ressourcen wie Nahrung, Wohnraum und Gesundheitswesen wird so immens gefährdet.
Im Senegal haben EU-Flotten mit Hilfe eines Fischereiabkommens das Recht erhalten, die dortigen Fischbestände auszubeuten. Infolgedessen werden diese rücksichtslos geplündert und durch die industriellen Fangmethoden zum Teil leer gefischt. Den Fischer*innen vor Ort wird jegliche Wirtschafts- und Ernährungssicherheit entzogen und den jungen Menschen bleibt in den meisten Fällen lediglich die Perspektivlosigkeit und der Zwang zur Flucht.
In anderen afrikanischen Ländern treibt der Ressourcenreichtum von Gold, Edelmetallen, Holz und Boden die Bevölkerung in existenzielle Notsituationen, da diese für den internationalen Markt von großer Bedeutung sind. Durch die Aneignung dieser Gebiete von außen werden wirtschaftliche Interessen begründet und durchgesetzt – die Menschen vor Ort bleiben auf der Strecke.
Die Folge daraus …
… ist die Tatsache das die Industrienationen die Lebenssituationen, die die Menschen in die Flucht treiben, durch Freihandelsabkommen und Strukturanpassungen selbst hervorrufen und sogar intensivieren. Die Bekämpfung der Fluchtursachen durch die EU bleibt lediglich ein Vorwand. Von Entwicklungspolitik kann bei diesen beschränkenden Maßnahmen keine Rede sein. Die EU betreibt eine Politik der Abschottung, indem sie die Auszahlung von Entwicklungsgeldern für afrikanische Länder an Maßnahmen koppelt. Diese Länder sollen ihren Grenzschutz erhöhen und die illegale Migration bekämpfen, damit ein Großteil der Menschen, die zur Flucht gezwungen werden, gar nicht erst die EU-Außengrenzen erreichen. Andere Deals mit Herkunfts- und Transitstaaten ermöglichen eine Selektion zwischen erwünschter und unerwünschter Zuwanderung. Wer es schafft und für die EU profitabel erscheint, darf bleiben und seine Arbeitskraft in den Dienst der Industrienationen stellen.
In Verbindung mit allen Fluchtursachen muss die Systemfrage gestellt werden. Wenn einer Logik gefolgt wird, die sich durch Profit, Markt, Akkumulation und Kapital immer wieder neu erfindet, kann hier nicht langfristig nach der Lösung gesucht werden. Denn hier wird der Mensch an unmenschlichen Werten gemessen. Die von uns aufgeführten Fluchtursachen (an dieser Stelle ist klar, dass die Liste unendlich ergänzt werden kann) zeigen, dass ein Leben im Kapitalismus bedeutet, dass die Menschen Gewinner und Verlierer in Kauf nehmen müssen. Diesen Zustand werden wir nicht dulden!
Wir fordern: „Bleiberecht für alle!“ – solange, bis die Verhältnisse weltweit so eingerichtet sind, dass Menschen nicht mehr gezwungen sind zu fliehen.
Fluchtursachen bekämpfen! Abschiebungen stoppen!